Ausgezeichnete Friedenspolitik: Am 1. September 2007 wurde die Friedensgemeinde San José de Apartadó aus Kolumbien mit dem renommierten Aachener Friedenspreis ausgezeichnet.
Vor zehn Jahren habe ich diese Kleinstadt im nördlichen Kolumbien das erste Mal besucht. Die BewohnerInnen berichteten mir von Angriffen des Militärs, der Paramilitärs und von Drohungen der Guerrillakämpfer in den umliegenden Dörfern. Aber auch in San José fühlten sie sich nicht sicher. Eines Nachts wurde ich selbst Zeugin dieser Bedrohung. Wir hörten Schüsse und liefen in die Gesundheitsstation, legten uns auf den Boden und schlossen die Türen. Als ich vorsichtig aus dem Fenster schaute, sah ich einen maskierten Mann mit einem Gewehr. Ein kleines Mädchen klammerte sich an mich und flüsterte immer wieder „asesino“ (Mörder). Bei Tagesanbruch besuchte ich das Haus, aus dem ich in der Nacht zuvor die Schüsse gehört hatte. Eine Frau erzählte mir weinend: „Ich habe elf Kinder. Wir hatten immer reichlich zu essen und haben mit anderen geteilt. Der Militärkommandant beschuldigt mich, die Guerrilla zu unterstützen, da ich ihnen zu essen gab. Die Guerrillakämpfer aber würden mich töten, wenn ich ihnen nichts gebe. Um unser Leben zu retten, sind wir hierher gekommen. Ich will nicht wieder fliehen. In der Stadt müssen wir um jede Banane betteln.“
Die Gemeinde San José hat sich zur Friedensgemeinde erklärt, das heißt, sie verweigert allen bewaffneten Akteuren – Armee und Polizei, Paramilitärs, Guerilla – den Zutritt. Trotz Drohungen und weiterer Morde macht das Beispiel Schule. Es scheint mir die erfolgreichste Form, in diesem leidgeprüften Land die Gewaltspirale zu durchbrechen und durch gewaltlosen Widerstand friedliche Formen des Zusammenlebens zu entwickeln.
In El Salvador wurde ich in den 1980er Jahren, mitten im Bürgerkrieg, von Guerrillakämpferinnen eingeladen, mit ihnen in die Berge zu gehen, um für eine gerechtere Gesellschaft zu kämpfen. Ich lehnte ab und wünschte, diese jungen Frauen würden gleichfalls nicht in den Krieg ziehen. Doch was soll ich sie kritisieren, wenn sie in Armut leben und ihre FreundInnen, Eltern, Geschwister von Regierungstruppen erschossen wurden? Da kann ich doch nur das mir Mögliche tun, um Freiräume für einen gewaltlosen Widerstand zu schaffen und zu erhalten.
1986 lernte ich die „Internationalen Friedensbrigaden“ (peace brigades international, PBI) in Guatemala kennen und beschloss mitzuarbeiten. PBI arbeitet nach den Prinzipien der Gewaltfreiheit, der Nichtparteinahme und der Nichteinmischung. Die internationalen Friedensteams begleiten auf Anfrage Menschen und Organisationen, die sich gewaltlos für Menschenrechte einsetzen und von politischer Gewalt bedroht sind. Ich war ein bisschen skeptisch, wie dies wohl funktionieren könne. Würde ich durch meine gewaltlose Anwesenheit Menschen schützen, die mit Waffen bedroht werden? Würde ich nicht selbst ein Opfer der Gewalt werden? Die Erfahrungen haben mir gezeigt: Mein Risiko ist weitaus geringer als die Wirkung, die ich erzielen kann. Bis heute ist noch kein Freiwilliger der PBI ums Leben gekommen, und viele Leute sagen, sie verdanken uns ihr Leben.
Bei den Zapatistas in Chiapas, Mexiko, die 1994 durch einen bewaffneten Aufstand weltweit bekannt wurden, erlebte ich, dass diese nicht auf die Waffen vertrauen, sondern eine weitgehend zivile, politische Strategie zur Umsetzung politischer Veränderungen anwenden. Um sich vor Angriffen seitens des Militärs und paramilitärischer Gruppen zu schützen, suchen sie in erster Linie internationale Begleitung und Öffentlichkeit.
In Lateinamerika habe ich viele Formen des Widerstands kennen gelernt. Vom Kampf bewaffneter Befreiungsbewegungen über zivilen Widerstand, der mit Waffen verteidigt werden kann, bis zu Widerstandsformen der absoluten Gewaltlosigkeit aus Überzeugung und als Lebensform.
Wichtig für den Erfolg des gewaltfreien Widerstandes ist nach meiner Erfahrung die Geduld, der Mut, die Kreativität und die Glaubhaftigkeit der AkteurInnen, aber auch die Öffentlichkeitsarbeit. So gilt auch für unsere Menschenrechtsbeobachtung und internationale Schutzbegleitung, dass sie durch gezielte Öffentlichkeits- und Anwaltschafts-Arbeit ergänzt werden muss. So arbeiten auch viele andere Gruppen kontinuierlich am Aufbau und an der Pflege von Netzwerken, Kontakten und Beziehungen.
Internationale Friedens- und Menschenrechtsarbeit finde ich sinnvoll, um der gewaltfreien Arbeit lokaler AkteurInnen den nötigen Freiraum zu erhalten. Lokale AktivistInnen fühlen sich ermutigt, nicht aufzugeben, sich mit gewaltlosen Methoden für ihre Rechte und die ihrer Gemeinschaften einzusetzen. Gleichzeitig fühle ich mich selbst ermutigt, von den Erfahrungen und Ideen der Menschen in Lateinamerika zu lernen. Lateinamerika wird sich aber nicht verändern ohne weltweite Veränderungen. Daher reise ich auch durch Europa, um hier Menschen zu sensibilisieren und zu ermutigen, sich gewaltfrei für Menschenrechte und Frieden zu engagieren.
Weitere Informationen unter
www.pbi-deutschland.deHeike Milanomi Kammer, Menschenrechtspreisträgerin des Jahres 1999 der Stadt Weimar, lebt und arbeitet seit 20 Jahren als Freiwillige in den lateinamerikanischen PBI-Teams. Seit Februar 2006 beschäftigt sie sich in einer vom Evangelischen Entwicklungsdienst geförderten Arbeitsstelle für Friedenserziehung mit Methoden der Theaterpädagogik.